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AutorenbildJosephine

Lehrer und Lehrmeisterinnen im Leben

Im Buddhismus lautet eine von drei Fragen, für die tägliche Achtsamkeitspraxis: „Wer war heute dein Lehrer?“. Jeden Tag begegnen uns verschiedene Menschen und mit jedem sind wir irgendwie in Interaktion getreten. Selbst ganz kurze Momente können dabei einen länger anhaltenden Einfluss auf uns haben. Bei der Frage geht es darum, aufmerksamer zu schauen, durch welchen Menschen man etwas lernen und erkennen konnte. Vorausgesetzt man hat bereits die Einstellung gewinnen können, bei sich selber zu schauen, statt dem anderen die Schuld zu geben. Zu verstehen, dass andere Menschen uns nur begegnen, um uns dabei zu unterstützen, etwas in uns selber zu erkennen. Worum es nicht geht, ist das Ausagieren unserer Emotionen ihnen gegenüber. 

Manchmal begleiten uns „Lehrer“ auch über einen längeren Zeitraum in unserem Leben. So jemand ist meine Oma für mich. Eine wahre Lehrmeisterin habe ich in ihr. Natürlich hat sie mir an sich viel Praktisches beigebracht fürs Leben, so wie Großeltern meistens eben bemüht sind. In erster Linie hat sie mich aber geistig geprägt: mit ihrer Meinung und Einstellung zu diversen Themen, „Man macht diese und das nicht…“, „Frauen sollten so … sein.“ und „In einer Ehe ist es wichtig, …“ etc. Worauf ich nachfolgend hinaus will ist, dass ich durch genaues Hinschauen bei mir, schlussendlich auf Liebe, Mitgefühl und Empathie gestoßen bin, ihr gegenüber und mir selber. Durch die vielseitigen Interaktionen mit ihr, habe ich mich besser kennen und verstehen gelernt und ebenso sie. 

Meine Sicht auf unsere Familie, speziell auf meine Oma, ergibt nun ein neues, kompletteres Bild. Was früher als gesetzt zu akzeptieren galt, kann ich jetzt nachvollziehen, weil die Details jetzt Sinn ergeben. Geschehnisse, die mir nicht gefallen haben, teilweise schmerzliche Ereignisse, die ich gerne vermieden hätte, lassen den Blick milde auf die Vergangenheit werden und die wertvolle Erfahrung darin sichtbar werden. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter, was meine eigene Geschichte angeht – es ist gut so, wie alles gekommen ist. Denn, wie es so schön heißt: sonst wäre ich jetzt nicht diese Person, die ich heute bin. Mir nahestehende Menschen wissen, dass ich sehr häufig mit meiner Oma gehadert habe – umso erstaunter bin ich jetzt selber, dass nach vielen Jahren, Dankbarkeit und Liebe an die Stelle getreten sind, wo vorher oft Wut, Distanziertheit, Besserwisserei, Vorwürfe, Ablehnung und Trauer standen.

Zum Lernprozess gehört es dazu, irgendwann, wenn man bereit ist, die Vergangenheit zu akzeptieren und zu annehmen. Damit erkennt man auch an, dass man der Mensch jetzt ist, der man durch die Geschehnisse geworden ist. Die Erlebnisse der Großeltern haben Einfluss auf das Leben unserer Eltern genommen. Deren Erfahrungen und Rückschlüsse daraus, haben wiederrum die Einstellung der Eltern zu Erziehung, dem Leben, Erfolg etc. beeinflusst, und somit unser eigenes Leben geprägt. Und ja, auch ich hatte lange den Gedanken, dass ich der Mensch aber nicht sein will, der ich dadurch geworden bin. Ich war die Hürden und Schwierigkeiten leid, die aus meiner damaligen Logik wohl entstanden sein müssen. Es ist aber wie es ist. Man muss lernen, die aktuelle Situation zu sehen und anzunehmen, sonst ist keine Veränderung möglich, weil wir dann nur im Widerstand und Kampf sind. 

So wie Buddha sagte: Höre auf, dich selbst als schlimmsten Feind zu sehen, und lerne dein bester Freund zu werden. Wenn ihr lernen könnt, euer bester Freund zu sein, könnt ihr auch lernen, anderen ein Freund zu sein. Godwin Samararatne

Die Lernaufgabe besteht genau darin: seinen inneren Kampf, die Trauer und die Wut in sich wahrzunehmen. Denn das agieren wir in der Beziehung mit anderen aus, sei es der Partner, Chef, Kollege oder weiterhin die Eltern bzw. Großeltern. Uns geliebte Menschen bekommen etwas von unseren Emotionen ab, die eigentlich zu einer anderen Person gehören, zB dem Vater, der Mutter etc. Die Aufgabe besteht darin, sich so anzunehmen wie man ist. Sich als den Menschen zu lieben, der man geworden ist – mit all seinen Stärken, Schwächen und den gemachten Fehlern, auch wenn sie große Konsequenzen nach sich gezogen haben. Innerer Frieden und Veränderung sind erst möglich, wenn wir aus emotionalen Spiralen aussteigen können und anschließend in der Lage sind, eine neue Wahl zu treffen. 

Neben den Emotionen kann man dann auch alte, unbewusst übernommene Glaubenssätze nochmal auf den eigenen Prüfstand stellen. Beispielsweise die von den Großeltern oder Eltern vererbten Regeln und Vorgaben bezüglich Gesellschaft, Finanzen, Beruf, Ehe, Familie, dem Verhältnis Mann-Frau etc. Wenn es stets hieß „Im Leben wird dir nichts geschenkt.“ oder „Geld verdirbt den Charakter.“ kann man nun selber entscheiden, ob dem wirklich so ist. Will man die alten Glaubenssätze behalten oder legt man sie ab und wählt neue Überzeugungen, die förderlicher für das eigene Leben sind. Denn solche Lebensansichten stammen meist aus ganz anderen Zeiten, und wurden aufgrund der damaligen Lebenssituationen verwendet. Wir leben heute im 21. Jahrhundert und nicht mehr 1920 oder 1950. Wir wissen schon wieder ein Stückchen mehr von der Welt und können uns somit auch der neusten Erkenntnisse bedienen. 

Ich habe sehr, sehr oft den Satz gehört „Irgendwann ist doch mal gut mit Fragen.“ oder „Man sollte die Vergangenheit ruhen lassen.“. Für mich war der Weg des Hinschauens genau der Richtige. Auch wenn er bedeutet hat, eine familiäre Wand überwinden zu müssen, die des Wegschauens und Schönredens. Zu Beginn meiner Reise wollte ich nur mich selber besser verstehen. Dass mich der Weg so intensiv zu den Geschichten der Frauen und Männer in meiner Familie führen würde, habe ich nicht geahnt, geschweige denn, dass ich mich mit ihnen auseinandersetzen wollte. 

Am Ende macht alles Sinn, und ich bin dankbar für den neuen Blick, den mir die Arbeit nun auf meine Familie und die Menschen im Allgemeinen ermöglicht hat. 

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