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Individualpsychologie

Die Individualpsychologie ist 1911 aus einer Auseinandersetzung Alfred Adlers mit der Psychoanalyse Sigmund Freuds hervorgegangen. Sie bildet heute einen wichtigen Teil der psychoanalytischen Theorie und Praxis.

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Individualpsychologie geht von einem ganzheitlichen Verständnis der bewussten und unbewussten Handlungs- und Erlebnisweise aus. Ihre besondere Aufmerksamkeit gilt der Beziehungsgestaltung durch den Einzelnen im sozialen Feld unter besonderer Berücksichtigung von Affekten, intrapsychischen Konflikten und Strukturen. Dabei wirkt nach individualpsychologischer Auffassung eine dem Menschen innewohnende schöpferische Kraft vermeintlichen Festlegungen durch biologische, biografische und soziale Bedingungen entgegen und verschafft dem Individuum Entwicklungsfreiräume.

Die Individualpsychologie vereinigt das Interesse an der ganz persönlichen Entwicklung des Individuums in Psychotherapie, Erziehung und Beratung mit dem gesellschaftlichen und politischen Blick auf unsere Welt.

 

Deutsche Gesellschaft für Individualpsychologie e. V. (DGIP)

Nach Adlers Überzeugung konnte die Sicht auf den Menschen als triebgesteuertes Wesen (Freud's Psychoanalyse) das menschliche Verhalten nicht erklären. Die motivierende bzw. schöpferische Kraft des Menschen resultiert vielmehr aus einem Minderwertigkeitsgefühl, das auf den Menschen als soziales Wesen verweist. Ganzheitlichkeit, Zielgerichtetheit und soziale Gleichwertigkeit sind für das Verhalten eines Menschen grundlegende Kategorien, wenn man ihn in seinem Verhalten verstehen will. Der Mensch ist nicht Produkt von Vererbung oder Umwelt (determiniert), sondern selbstbestimmt und zielgerichtet.

Das Menschenbild

​5 Grunderkenntnisse über

menschliche Verhaltensweisen

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  1. Belonging | Menschen sind soziale Wesen. Ihr Hauptbedürfnis ist dazuzugehören. Das gilt für Erwachsene und Kinder gleichermaßen. 

  2. Zielgerichtet | Das Verhalten eines Menschen verfolgt stets ein Ziel. Sein Handeln versteht man, wenn man weiß, welchem Zweck es dient.

  3. Freier Wille | Es entspricht der Natur des Menschen, Entscheidungen zu treffen. Wir sind nicht Opfer der Umstände. Wir können immer entscheiden!

  4. Holismus | Jeder Mensch ist ein komplexes Wesen, dessen Handeln nicht isoliert betrachtet werden kann. Wir betrachten den ganzen Menschen. Er ist mehr, als die Summe seiner Einzelteile.

  5. Tendenziös | Wir sehen die Wirklichkeit nicht so, wie sie ist, sondern wie wir sie wahrnehmen, und unsere Wahrnehmung kann irrig und voreingenommen sein.  

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Nach Rudolf Dreikurs (Schüler & Lehrer der Adler Psychologie)

Die Individualpsychologie erkennt das große Potenzial des Geistes zu Selbsterkenntnis und Veränderung und glaubt daran:
Jeder Mensch kann alles, solange er sich selbst keine Grenzen setzt.

Alfred Adler (1927)/ Wenke

Alfred Adler

Aufgewachsen in einer Zeit, die politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich im Umbruch war,  musste sich Alfred Adler schon sehr früh mit schweren Themen wie Tod, Krankheit, Überleben auseinandersetzen. Sein Optimismus und aufgeweckter Geist, verbunden mit den existentiellen Erfahrungen des Menschseins, führten zu seiner Arbeit und seinem aufrichtigen Interesse für Menschen sowie ihren Lebensumständen. Die menschliche Gemeinschaft ist ihm ein großes Anliegen - später wird er den Begriff "Gemeinschaftsgefühl" (engl. social interest) prägen - und so lässt er sich von Gedanken aus der Philosophie, dem Sozialismus und Marxismus beeinflussen. Die Gemeinschaft und Politik müsse seiner Meinung nach die Bedingungen ändern, damit Menschen gesund bleiben und arbeiten können. Die Hochkonjunktur im damaligen Wien, hin zu einer modernen Zivilisation, hatte die Nerven der Menschen durch die Arbeit sehr strapazierte - so entstand die Psychoanalyse und der Bedarf danach. Adler sah den Menschen stets als ein soziales Wesen, mit der schöpferischen Kraft und Fähigkeiten, sein Leben aktiv zu gestalten, und sich nicht den Umständen behindern zu lassen.

Adler wollte eine lebensnahe Psychologie schaffen, die dem Menschen ermöglicht, seine Mitmenschen aus deren jeweils individueller Lebensgeschichte heraus zu verstehen. Psychologisches Verständnis, Menschenkenntnis, sollten nicht nur Therapeuten, sondern auch Ärzte und Erzieher bzw. Lehrer haben. In der Individualpsychologie sah er auch eine Prophylaxe gegen körperliche bzw. psychische Erkrankungen.

Wien Anfang 1900 gilt als die Wiege der Tiefenpsychologie. Sigmund Freud, Carl Gustav Jung und Alfred Adler gelten als die Begründer der Psychologie, wie wir sie heute kennen. Ihre Arbeit wurde von vielen Kollegen aufgegriffen und weiterentwickelt u.a. Viktor Frankl, Erich Fromm.

Arzt, Psychotherapeut &

Philosoph, Vordenker, Menschenfreund und Optimist

  • Geboren am 7. Februar 1870 in Rudolfsheim bei Wien/ Österreich und aufgewachsen in Wien.

  • Er war der zweitälteste Sohn und hatte insgesamt sieben Geschwister, wovon fünf überlebten.

  • Als er drei Jahre alt war, verstarb sein jüngerer Bruder mit dem er sich ein Bett teilte.

  • Als Kind erkrankte er an Rachitis und einer schweren Lungenentzündung und starb daran fast.

  • Die Ereignisse als Kind bestärkten seinen Wunsch Arzt zu werden, um Krankheit und Tod zu besiegen.

  • Sein Vater war ein gütiger, nicht sehr geschäftiger, jüdischer Kaufmann. Aufgrund finanzieller Probleme musste die Familie öfters umziehen und lebte in ärmlicheren Verhältnissen.

  • Nach dem Abitur studierte er Medizin, was Juden im damaligen Wien erlaubt war (daher gab es ein Überangebot an jüdischen Medizinern, weil Medizin fast jeder studiert).

  • 1895 Promotion an der Wiener Universität

  • 1897 heiratete er, die aus wohlhabendem Hause stammende, radikal-sozialistische Russin, Raissa, die er in einer sozialistischen Studentengruppe kennenlernte und von deren Art er sehr beeindruckt war. Als Frau konnte sie ihr Studium damals aber nicht abschließen bzw. promovieren. Sie bekamen vier Kinder.

  • Adler war ein leidenschaftlicher Kaffeehausgänger, bereits als Student. Er hatte eine weltoffene, optimistische Lebenseinstellung und interessierte sich sehr für Politik (Sozialismus, Marxismus), Philosophie, Kulturwissenschaften und er beobachtete aufmerksam die Veränderungen in seinem Umfeld und die Lebensumstände der Menschen in seiner Zeit.

  • Zuerst arbeitete er als Augenarzt, dann als Allgemeinmediziner und später als Nervenarzt. Zu seinen Patienten gehörten Juden, Russen, Freunde, Kollegen, Näherinnen, Kutscher, Köche, Schneider.

  • Seine erste Veröffentlichung war ein Gesundheitsbuch für das Schneidergewerbe.

  • Ab 1902 nahm Adler an den Diskussionsrunden der "Mittwochabendgesellschaft" von Sigmund Freud teil

  • 1911 kam es zum endgültigen Bruch mit S. Freud und Adler begründete seine Lehre der "freien Psychoanalyse" - die Individualpsychologie

  • 1914-1918 | Während des Ersten Weltkriegs arbeitete Adler als Militärarzt und war direkt mit den Grausamkeiten konfrontiert, die sich die Menschen antaten. Er behandelte u.a. Kriegstrauma (PTSD) der Soldaten. Die Entwicklung der Individualpsychologie kam vorerst zum Erliegen.

  • Anfang der 1920er Jahre setze sich die Entwicklung und Praxis der Individualpsychologie wieder fort

  • 1920er | Er gründete die ersten Erziehungsberatungsstellen in Wien, arbeitete als Direktor der ersten Klinik für Kinderpsychologie in Wien, war als Dozent tätig und verschriftlichte seine Arbeit. 

  • Er hielt Vorträge zur Einführung in die Psychotherapie für Ärzte, Psychologen und Lehrer.

  • Ab 1926 besuchte er regelmäßig die USA und verbreitet seine Lehren in der westlichen Welt.

  • Seit 1926 Gastprofessur an der Columbia University und seit 1932 am Long Island College

  • Anfang der 1930er Jahre war Adler einer der bekanntesten Psychologen der westlichen Welt

  • 1934 wanderte er in die USA aus und floh vor den lebensbedrohlichen Zuständen in Europa

  • Die im damaligen Wien aufblühende Tiefenpsychologie muss vor den Ideologien des Zweiten Weltkriegs fliehen. Die psychologische Wissenschaft entwickelt sich an anderen Orten in Europa weiter.

  • 1937 verstarb Adler unerwartet an Herzversagen auf einer Vortragsreise in Aberdeen/ Schottland

  • Begleiter und Schüler von Adler führen seine Arbeit bis heute weltweit fort.

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