Die Frage, was eine erfolgreiche Trainerpersönlichkeit ausmacht, ist eine viel diskutierte. Schließlich ist der Trainer eine Schlüsselposition im Mannschaftssport und auf dem Platz. Neben den fachlichen Fertigkeiten rücken, nicht erst seit Jürgen Klopp, Hansi Flick und Jupp Heynckes, nun immer häufiger auch die Soft Skills in den Fokus bei der Trainerwahl und Mannschaftsarbeit. Die fachliche Trainer-Qualifikation aller Bewerber um einen Trainer-Posten vorausgesetzt sowie die Passung zum Club und den ausgegebenen Zielen, entscheiden dann der Charakter und das Wesen der Person über den Zuschlag als Chef-Trainer. Im Volksmund heißt es bekanntlich, dass Diamanten nur unter Druck entstehen und genau hier liegen die Besonderheit und gleichzeitig die Aufgabe im Fußball. Der ständige Umgang mit Herausforderungen, Lösungsfindungen, Zielen, Krisen, der Gefahr von Niederlagen und negativen Ereignissen bildet den Charakter eines Menschen oder bringt ihn gar erst zum Vorschein. Persönliches Wachstum ist an der Tagesordnung. Die Analyse von Spiel und Spielern nimmt eine wichtige Aufgabe in der Trainings-und Spielvorbereitung ein. Es gilt stets, die Learnings aus dem Vergangenen zu ziehen und Justierungen vorzunehmen. Und wie steht es mit der Reflexion und Analyse des eigenen Trainerverhaltens? Oftmals nimmt man sich als Führungsperson kaum oder nicht ausreichend Zeit, um das eigene Denken und Handeln anhand von Situationen nochmal zu rekapitulieren. Schlichtweg weil auf dem Tagesplan schon neue Themen oder unvorhergesehene Probleme stehen. Idealerweise hat das vergangene Jahr hier schon einen Teil zum Umdenken beigetragen und der bevorstehende Sommer kann produktiv genutzt werden, um sich auf die neue Saison voller Motivation vorzubereiten. Jetzt bleibt noch Zeit für einen persönlichen und inneren Re-Start.
Der nachfolgende Text möchte daher Einblicke und Anreize für eine kontinuierliche mentale Arbeit geben, um mittels Selbstreflexion und Selbstführung den eigenen Trainerweg zielgerichtet zu steuern - im Großen (Zukunftsvision) sowie im Kleinen (Spieltage/ Saison). Zusätzlich möchte er aufzeigen, wie damit Einfluss auf das Mannschaftsgefüge und die gemeinsamen Erfolge genommen werden kann. Roger Schmidt beschreibt dazu in seinem Buch, dass er die stete Weiterentwicklung seiner Spieler als seine Aufgabe als Trainer ansieht. Das geht aber nicht ohne die Eigenmotivation und das Zutun der Spieler selber und damit auch ihrem Beitrag für die gesamte Mannschaft. Gleiche Maxime legt er auch bei sich selber an. „Jeder braucht den maximalen Willen, sich zu verbessern und in den Dienst der Mannschaft zu stellen. Das ist auch mein Anspruch an mich selber.“ (vgl. Das Buch des Trainers, 2020)
Am Anfang steht das Ziel
Die Überschrift dieses Artikels lautet „Auf dem Weg zum Ziel“ – und bevor man sich auf den Weg macht, sprichwörtlich die Schuhe anzieht, ist es unerlässlich, sich seine Motivation für das Ziel vor Augen zu halten. Und zwar jeden Tag. Die Aufgabe besteht darin, aktiv selber das „Feuer zu schüren“ und den Siegeswillen zu stärken. Was ist meine persönliche Trainer-Vision? Wo soll es für mich hingehen, zu welchem Club, in welche Liga, in welches Land? Welche Zeitspanne ist dafür realistisch? Was gilt es dafür ggf. noch zu lernen? Das Ziel sollte klar, ambitioniert, jedoch realistisch formuliert sein („SMART-Methode“ zur Definition von Zielen). Um sich das Ziel täglich bewusst zu machen, gibt es verschiedene Möglichkeiten der Unterstützung. Eine kraftvolle Methode ist die, sich mittels seiner Vorstellungskraft das Ziel zu visualisieren (= Imagination). Sich unter Einsatz aller Sinne vorzustellen, wie es ist, das Ziel zu erleben. Das Gefühl von Erfüllung und Erfolg bereits in sich zu erzeugen. Eine andere bildliche Methode, die geistige Wiederholungskontakte schafft und sich im Unterbewusstsein verankert, ist ein Vision Board, bestehend aus Fotos und bekräftigenden Sätzen, die das Ziel darstellen. Das tägliche Betrachten schärft den Fokus und die eigene Ausrichtung.
„Tomorrow belongs to those who can hear it coming.“ David Bowie
„JA“ zu Wachsen und Lernen. Jeden Tag.
Ist die Festlegung über das Ziel getroffen, folgt ein weiterer entscheidender Schritt: die Entscheidung für ein Commitment. Das heißt, alles zu tun, um das ausgeschriebene Ziel zu erreichen. Nicht zu wollen, sondern es wirklich zu tun. In erster Linie ist damit die Bereitschaft gemeint, auf diesem Weg persönlich zu wachsen und zu lernen. Gerade wenn sich unvorhergesehene und schwierige Herausforderungen ergeben, sind Willensstärke, Ausdauer, Disziplin und Siegeswillen keine bloß aufgeschriebenen Werte, sondern sie werden zu wichtigen, gelebten Charaktereigenschaften. Das Schöne am Fußball ist, dass diese grundlegenden Lebensmaximen - Lernen und Wachstum - hier wie ein Katalysator täglich und wöchentlich gefordert werden. Von allen! Der Sport unterstützt jeden Beteiligten sogar noch durch seine naturgemäße Intensität und kurze, zeitliche Taktung. Die übergeordnete Frage dabei ist also, wie offen ist man für diesen persönlichen Wachstumsprozess? Wie bewertet man selber Fehler - die eigenen und die der anderen? Sollten Fehler vermieden werden, oder sind sie Teil einer Erfahrung? Schafft man einen Rahmen, in dem es für alle erlaubt ist, Erfahrungen zu sammeln? Wie geht man mit sich selber in einer neuen Situation des Lernens um? Besteht das Selbstgespräch aus positiver Ermutigung oder aus abwertendem Druckaufbau? Der eigene Umgang mit diesen Antworten wird anhand des Handelns des Chef-Trainers auch von Co-Trainer, Kollegen, Vereinsverantwortliche und Spielern unterschwellig bemerkt. Als Trainer lebt man sein Denken durch seine Taten vor. Neben dem Motivationsfeuer gilt es somit, auch das Commitment fürs eigene Wachsen jeden Tag neu kraftvoll zu bejahen.
Verantwortung für die eigenen Gedanken übernehmen
Ist das Ziel und die Bereitschaft fixiert, tritt ein weiterer Mitstreiter auf den Plan, den es durchweg zu steuern und auszurichten gilt, um den Weg erfolgreich bis zum Schluss zu beschreiten – der Kopf. Selbstführung bedeutet, Verantwortung für die eigenen Gedanken zu übernehmen. Das umfasst zum einen die bekannte Grundeinstellung und Sichtweise auf die Welt. Hat man ein optimistisches Mindset oder neigt man eher zum Pessimismus? Um falsch oder richtig geht es hierbei nicht, sondern darum, sich bewusst zu machen, welche Konsequenzen die eigenen Bewertungen auf die Ergebnisse haben, und ob sie förderlich für die Erreichung des Ziels, sich selber und die Mannschaft sind. Die Bedeutung, die man den inneren und äußeren Gegebenheiten gibt, trägt entscheidend zu den Ergebnissen bei. Die persönliche Sicht auf die Dinge bestimmt über Verhalten und Entscheidungen. Auch hier stellt sich wieder die Frage, wie beispielsweise Niederlagen und Fehler bewertet werden? Werden sie im größeren Kontext gesehen, als Teil für Wachstum und Erfolg, oder sollen sie vermieden werden? „Die Macht der Gedanken“ ist hinlänglich bekannt und doch fällt die Wahl noch zu oft auf den Körper und die Kraftanstrengung. Handlungen sind das Ergebnis von Gedanken. Daher ist es nur logisch, bei den eigenen Gedanken anzufangen. Man selber entscheidet, welche Inhalte man denkt. Man wird nicht gedacht. Folgt man seinem Willen für das Ziel, so entscheidet man sich für eine neue gedankliche Offenheit, Flexibilität und damit dem Blick für Lösungen und kreative Ideen. Denn im Fokus steht immer wieder das Ziel und die Machbarkeit.
Selbstwirksamkeit trainieren und innere Stärke erzeugen
Über Jahre und Jahrzehnte hinweg gedachte Überzeugungen bilden schließlich eine nicht mehr hinterfragte Grundannahme über sich selbst oder gemachte Erfahrungen. Diese sogenannten Glaubenssätze können blockierend oder ermutigend auf das eigene System wirken. Besonders in neuen, unbekannten Situationen hat man die Möglichkeit, sich dieser festen inneren Meinung über sich selber einmal bewusst zu werden. Welchen ersten Gedanken denke ich über das Bevorstehende? Ist es ein motivierender, wie „Das schaffe ich. Ich weiß, wie das geht. Ich werden eine Lösung finden.“ oder ist es eher ein leises „Ich bin nicht gut genug. Das kann ich nicht.“? Lebt man also unterstützende Selbstüberzeugungen und eben solche, die es erschweren oder gar verhindern ans Ziel zu gelangen? Neben dem Aufspüren dieser inneren blockierenden Selbstüberzeugungen ist es erforderlich, neue Beweise dafür zu sammeln, dass diese Gedanken nicht der Wahrheit entsprechen. Dass man also sehr wohl das Ziel erreichen kann und weiß, wie es geht. Die eigene Bestärkung und tägliche Bestätigung sind hier wichtige Werkzeuge. Das heißt, sich seine Stärken immer wieder vor Augen zu halten, die einen persönlich ausmachen und bis hier hingebracht haben, anstatt sie für unbedeutend zu halten. Seine Stärken zu kennen, zu erweitern und sie auch mental zu festigen, unterstützt einen Menschen auf dem Weg zum Ziel. Zusätzlich gibt es viele Möglichkeiten, sich über den Körper diese Bestätigung der eigenen Selbstwirksamkeit und des Glaubens an die eigene Stärke zu geben. Mit Hilfe welcher Aktivität - beispielsweise Laufen, Yoga, Wandern, Klettern, Schwimmen, Handwerk etc. - kann ich mir selber diesen kraftvollen Zustand erzeugen, um ihn dann auf den Platz zu übertragen?
Ergebnis - Erkenntnis - Korrektur
Ganz im Sinne der Spiel- und Spieleranalyse ist die eigene Betrachtung vergangenen Handelns ausschlaggebend für die Zielerreichung. Dies erfolgt in drei Schritten:
das Ergebnis anerkennen und akzeptieren,
Erkenntnisse daraus ziehen und analysieren, was zum Resultat geführt hat bzw. was nicht erfolgreich war und
den Plan korrigieren, Veränderungen vornehmen und das Vergangene dann abhaken und loslassen.
Auch an der Stelle sei nochmal die eigene Bewertung hinterfragt, ob Niederlagen auf dem Weg zum Ziel erlaubt sind und man die Situation „einfach“ als das sieht, was sie ist: Erfahrung, neues Wissen, neue Erkenntnisse. Man hat Details darüber gesammelt, wie es nicht geht, und auch das ist eine wertvolle Information, die man für die Zukunft nutzen kann. In jedem Job bildet Erfahrung eine wichtige Kompetenz. Sie hilft einem dabei, Entscheidungen treffen zu können. Die vielen Versuche erweitern das eigene Wissen und bereichern somit den kreativen Lösungsprozess. Die Wahl, wie man vergangene Abläufe, Matchpläne, Spiele etc. bewertet, trifft jeder selber. Zieht man Kraft und neuen Fokus fürs nächste Spiel, oder hadert man mit dem Alten? Jede Erfahrung bringt einen ein Stück weiter. Mit dieser Gelassenheit und Vertrauen könnte der Spaß am eigenen und gemeinsamen Wachsen zum Schlüsselspieler werden.
„Every single thing that has ever happened in your life, is preparing you for something that is meant to come.” - Unkown
Seine Batterien selber aufladen
Die Sinnhaftigkeit von Regenerationsphasen im Leistungssport ist unumstritten. So ist auch die mentale Pause als Führungsperson eine wichtige Maßnahme. Kurz gesagt: mal nichts denken (müssen!), einfach durchatmen und den Druck loslassen. Ziel dabei: Batterien aufladen und in sich selber aktiv innere Kraft erzeugen. Weil es hier um bewusste Selbstführung und Selbstverantwortung geht, sind Fernsehen oder Playstation spielen aus der Rubrik Entertainment hier eher nicht gemeint, sondern wirklich aktives Erholen ohne Informationsaufnahme. Wo und wie kann ich wahrhaftig abschalten und Kraft tanken? In der Natur, im Wald, beim Fahrradfahren, beim Fun-Sport, beim Hören von Musik, beim Spielen eines Musikinstruments? Um Körper und Geist eine richtige Pause zu ermöglichen, bietet Meditation eine sinnvolle Option. Hier gibt es Apps, Bücher und YouTube-Videos, um an das Thema herangeführt zu werden. Wozu Meditation? Sie beruhigt das gesamte Nervensystem, wirkt positiv auf das Herz-Kreislauf- und Immunsystem und schafft Raum für neue Erkenntnisse. Durch Meditation lernt man, den Fokus zu behalten, auch im Alltag, und aus der inneren Ruhe heraus klare Entscheidungen zu treffen. Auf dem Weg zum Ziel ist es notwendig, seine ganz persönliche Regenerationsstrategie zu entwickeln. Regelmäßig und nachhaltig.
„Nichts im Leben kommt von ungefähr“
… es sei denn, man tut etwas dafür. Dann setzt der Erfolg exponentiell ein. Bis zum nächsten Gipfel, von wo aus es dann zur nächsten Aufgabe und Herausforderung weitergeht. Mit jedem Mal wächst der persönliche Werkzeugkoffer aus Erfahrung, Fähigkeiten und besonderen Eigenschaften. Der Fußballsport hat eine einnehmende Natur. Daher ist das bewusste und tägliche mentale Arbeiten essentiell. Von jedem durchgeführt setzt es im Team einen konstanten Dominoeffekt in Gang, bei dem jeder motiviert und ermutigt bleibt. Im Ergebnis gewinnen dann jeder einzelne und das Team sowie der Club.
Viel Erfolg und kreative Ideen bei der Umsetzung.
Erschienen im Fußballtrainer-Magazin | Ausgabe Nr. 6/21
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